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Wann wenn nicht jetzt,
Wo wenn nicht hier ...

Wann?
aus: "Blinder Passagier",
Rio Reiser (1987)

1

Einleitung

 

Als Konrad Zuse in den dreißiger Jahren seine ersten elektromechanischen Rechenmaschinen konstruierte, hatte er wohl bei weitem keine Vorstellung von dem, was auf der Basis solcher Geräte und deren Weiterentwicklungen einmal alles möglich sein würde. Zuse hegte am Anfang lediglich den Wunsch, aufwendige statische Berechnungen zu automatisieren (/ZUS93/).

Ivan Sutherland stellte 1965 seine Idee vom ultimativen Display vor (/SUT65/) und läutete damit das Zeitalter nur im Speicher eines Computers vorhandener, virtueller Welten ein. Der Begriff Welt impliziert dabei neben anderen Aspekten (wie z.B. Realismus) auch Räumlichkeit im Sinne einer dreidimensionalen Darstellung.

Wieder stand am Anfang eine Vision. Es dauerte einige Jahre, bis Sutherlands Idee vom Bildschirm als Fenster zu einer realitätsnahen virtuellen Welt im Computer Wirklichkeit wurde. Schritt für Schritt wurden die Bilder auf dem Computerbildschirm realistischer und lebendiger.

Auch die Entwicklung von Computerspielen zeigt die rasante Entwicklung auf diesem Gebiet. Am Anfang der Entwicklung standen textorientierte Systeme, die durch die Eingabe von Befehlen über die Tatstatur bedient wurden und deren Ausgaben lediglich aus Botschaften bestanden, die der Spieler lesen mußte. Durch den Einsatz bewegter zweidimensionaler Grafiken erhöhte sich der Unterhaltungswert der Spiele enorm. Eingaben konnten über intuitiv bedienbare Geräte (z.B. Joystick) vorgenommen werden, die Ausgaben waren durch ihren grafischen Charakter ganzheitlicher aufnehmbar. Heute ist prinzipiell mit jedem Personal Computer die realistische Darstellung dreidimensionaler Objekte möglich. Flugsimulatorsoftware, die in jedem Kaufhaus erhältlich ist und auf jedem Heim-PC läuft, war bis vor einigen Jahren den Hochleistungsrechnern der militärischen Forschungseinrichtungen vorbehalten.

Diese Entwicklung, hin zu immer anspruchsvollerer Software für den breiten Massenmarkt, ist keineswegs abgeschlossen, sie setzt sich permanent mit immer atemberaubenderem Tempo fort. Wir sind heute an einem Punkt in dieser Entwicklung angekommen, an dem sich der Umgang mit dem Computer grundlegend verändern kann.

1.1

Virtuelle Umgebungen

Begriffs- bestim- mung

Die Forschung auf dem Gebiet virtueller Umgebungen (VU) ist noch sehr jung. Trotzdem oder gerade deshalb erfuhr diese Technologie in den letzten Jahren ein sehr großes Interesse durch die Medien. Leider existieren aber immer noch Schwierigkeiten, den Begriff genau abzugrenzen und eine allgemeingültige Definition vorzunehmen.

Die Konfusion bei der genauen Begriffsbestimmung, ist bereits am vielerorts verwendeten Begriff virtuelle Realität (VR)zu erkennen. Dieser Begriff charakterisiert den Gegenstand aus mehreren Gründen weniger gut. Einmal beinhaltet der Begriff virtuelle Realität eine gewisse Widersprüchlichkeit, da Virtualität und Realität Worte mit gegensätzlicher Bedeutung sind. Zum anderen wird unter virtueller Realität meist nur die möglichst realistische Nachbildung der Realität mit Hilfe einer Computersimulation verstanden. Zudem ist durch das große Medieninteresse und die damit verbundene Verwässerung der Bedeutung, der wissenschaftliche Charakter dieses Terminus verlorengegangen. Auf die Benutzung des Begriffs virtuelle Realität wird deshalb in dieser Arbeit weitestgehend verzichtet werden. In Übereinstimmung mit den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen zu diesem Thema wird statt dessen der Begriff virtuelle Umgebung verwendet.

In der Literatur ist keine eindeutige Definition für virtuelle Umgebungen zu finden. Die verschiedenen Wissenschaftler versuchen, sich dem Gegenstand auf unterschiedliche Art zu nähern.

Kalawsky definiert virtuelle Umgebungen in /KAL93/ so:

In a virtual environment the human is immersed in a computersimulation that imparts visual, auditory and force sensations. The computer simulation can present conventional real-world environments without modification or entirely new environments where different (or no) physical laws exist. The human operator is allowed to interact with components of the virtual environment through his/her responses being sensed appropriately and coupled into the virtual environment simulation.

Vince (/VIN95/) versteht unter virtuellen Umgebungen lediglich

... a 3D data set describing an environment based upon real-world or abstract objects and data.

Eine andere Definition wurde 1992 bei einem Workshop an der University of North Carolina (/NSF92/) aufgestellt:

By virtual environments, we mean real-time interactive graphics with three-dimensional models, when combined with a display technology that gives the user immersion in the model world and direct manipulation.

Regenbrecht liefert in /REG94/ neben der Darstellung von Grundlagen, Einsatzgebieten und möglichen Auswirkungen, auch eine Definition des Begriffs virtuelle Realität:

Virtual Reality ist der Bereich der Kommunikation, welcher in synthetischen Räumen stattfindet und den Menschen als gleichberechtigten, integralen Bestandteil eines digitalen Systems versteht.
Es ist die Gesamtheit von Hard- und Software, welche dem Benutzer einen ihn einbeziehenden drei- oder mehrdimensionalen Ein-/Ausgaberaum zur Verfügung stellt, in dem er zu jedem Zeitpunkt mit autonomen Objekten in Echtzeit interagieren kann.

Es ist offensichtlich, daß sich die Definitionen des Begriffs virtuelle Umgebung / virtuelle Realität teilweise sehr stark voneinander unterscheiden. In dieser Arbeit werden virtuelle Umgebungen folgendermaßen charakterisiert:

[D1]

Eine virtuelle Umgebung ist ein Computersystem, mit dessen Hilfe autonome, dreidimensional modellierte und dargestellte Entitäten (Objekte der virtuellen Umgebung) in Echtzeit interagieren können. Ein Nutzer stellt dabei ebenfalls eine solche Entität dar und ist damit integrierter Bestandteil der Umgebung.

Weitere Aspekte und Anforderungen an virtuelle Umgebungen sind denkbar (z.B. soziale und psychologische Aspekte einer künstlichen, nichtrealen Welt, der Einfluß anderer Sinneswahrnemungen wie Fühlen und Schmecken auf das Erleben virtueller Umgebungen). Eine detaillierte Aufstellung und Untersuchung dieser Probleme ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Einsatz- gebiete

Eine virtuelle Umgebung, also eine synthetisch generierte Umwelt, mit Hilfe von Computern modelliert und dargestellt, und unter Verwendung spezieller Ein- und Ausgabegeräte für den Menschen nutzbar gemacht, kann den Umgang mit Computern nachhaltig verändern. Es ist abzusehen, daß virtuelle Umgebungen die Benutzung von Computern mindestens ebenso gravierend verändern, wie die Einführung graphischer Benutzeroberflächen dies getan hat.

Wenn virtuelle Umgebungen die reale Umgebung, in der wir uns tagtäglich bewegen, in Form und Funktion realistisch nachbilden, leuchtet die einfache Bedienbarkeit sofort ein, da der Benutzer auf seinen reichen, in der realen Welt gesammelten Erfahrungsschatz zurückgreifen kann.

Für den Benutzer ist der Computer hauptsächlich ein Hilfsmittel, mit dem er Aufgaben besser und schneller durchführen kann, als dies auf konventionelle Art und Weise möglich wäre. Er will sich bei seiner Arbeit auf die Verwirklichung seiner Ziele konzentrieren und nicht auf die Bedienung der Maschine.

Aber nicht nur die intuitive Benutzbarkeit dreidimensionaler Objekte dient als Motivation für die Beschäftigung mit virtuellen Umgebungen. Es fällt schwer, sich auch nur annähernd die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten virtueller Umgebungen vorzustellen. An dieser Stelle sei nur beispielhaft an Architektur (Besichtigung von Bauwerken, bevor sie gebaut werden), Medizin (realistische Darstellungen unzugänglicher Bereiche des menschlichen Organismus zum Zwecke besserer Diagnostik), Raum- und Luftfahrt (Simulation komplizierter und/oder gefährlicher Situationen auf der Erde) und Chemie (interaktive Simulation und Visualisierung komplexer Molekülstrukturen) gedacht.

1.2

Verteilte virtuelle Umgebungen

Begriffs- bestim- mung

Regenbrecht (/REG94/) greift den durch Gibson (/GIB87/) geprägten Begriff des Cyberspace auf und definiert ihn als Erweiterung seines VR-Begriffs:

... Cyberspace (ist) ein VR-System ..., das in ein internationales Computernetzwerk eingebunden ist.

Dieser Begriff umschreibt in etwa, was in dieser Arbeit unter verteilten virtuellen Umgebungen verstanden werden soll.

[D2]

Verteilte virtuelle Umgebungen sind virtuelle Umgebungen, die mehr als einem Nutzer die Möglichkeit bieten, gemeinsam in eine virtuellen Umgebung einzutreten. Im Vordergrund steht die Möglichkeit der Interaktion der verschiedenen, geographisch getrennten Benutzer miteinander und den anderen Objekten der gemeinsamen virtuellen Umgebung.

Durch den Einsatz vernetzter Computersysteme kann aber auch eine Erhöhung der verfügbaren Rechenleistung erreicht werden, indem Rechnerverbünde parallel und gemeinsam als lose gekoppeltes System eine Aufgabe lösen (Parallelverarbeitung). Auch bei verteilten virtuellen Umgebungen wird die Verteilung zum Zweck der Leistungssteigerung eingesetzt. Dieses Entwicklungsrichtung spielt in dieser Arbeit aber eine untergeordnete Rolle.

Einsatz- gebiete

Vernetzte Computer spielen eine immer wichtiger werdende Rolle bei der Kommunikation und Interaktion der Menschen, die die Computer benutzen. Das Internet ist hierfür ein sehr gutes Beispiel (/MEI96/). Auch die intensive Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der computergestützten Zusammenarbeit (Computer Supported Collaborative Work - CSCW) spiegelt diese Entwicklung wider.

Virtuelle Umgebungen als Systeme, in denen der Nutzer integrierter Bestandteil ist, legen den Gedanken nahe, die Zusammenarbeit verschiedener, geographisch getrennter Nutzer zu unterstützen.

Aber auch die Zusammenarbeit von Menschen, die sich am selben Ort befinden kann durch den Einsatz verteilter virtueller Umgebungen erleichtert werden. Vorstellbar sind Diskussionen über in Planung befindliche Produkte am virtuellen Modell ebenso wie die gemeinsame Bearbeitung komplexer Aufgaben in einer virtuellen Umgebung.

1.3

Zur Motivation der Arbeit

Natürlich ist viel von dem bisher zu virtuellen und verteilten virtuellen Umgebungen Gesagten, heute noch eine Vision. Noch fehlt es an (preiswerter) Hardware, die ein unbeschwertes Erleben der virtuellen Umgebung ermöglicht. Es werden Ein- und Ausgabegeräte benötigt, die der Anforderung, intuitiv mit der virtuellen Umgebung interagieren zu können, gerecht werden. Auch die Bandbreiten, die mit den heutigen Weitverkehrsnetzwerken zur Verfügung stehen, reichen bei weitem noch nicht aus, Gibsons Vision vom Cyberspace umzusetzen. Ein weiteres Problem stellt die Software dar, da neue Technologien immer auch neue Probleme mit sich bringen, die durch neue Software gelöst werden müssen.

Es ist festzustellen, daß sich virtuelle Umgebungen bei weitem noch nicht in dem Stadium befinden, in dem sie so eingesetzt werden könnten, wie optimistische VR-Enthusiasten dies von Zeit zu Zeit suggerieren wollen.

Gerade deshalb ist es aber notwendig, Forschung auf diesem Gebiet zu betreiben, um Probleme zu erkennen und entsprechende Lösungsansätze zu finden.

Die rasante Entwicklung der Rechen- und Grafikleistung in den letzten Jahren zeigt, daß die notwendige Hardware relativ schnell für viele Benutzer zur Verfügung stehen kann (/HEN96/, /KAT96/). Auch die Entwicklung neuartiger Ein- und Ausgabegeräte, welche die speziellen Anforderungen virtueller Umgebungen erfüllen, schreitet rasch voran. Die Leistungsfähigkeit der Computernetzwerke wird, nicht zuletzt durch den Internetboom der letzten Jahre, stetig verbessert. Daneben erfolgt natürlich auch intensive Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf dem Softwaresektor.

Es gilt, die neue Technologie der virtuellen Umgebungen in nutzbringende Anwendungen und Systeme zu integrieren, um Vor- und Nachteile am praktischen Beispiel abschätzen und untersuchen zu können. Die Beschäftigung mit virtuellen Umgebungen und speziell mit verteilten virtuellen Umgebungen ist deshalb eine lohnende Aufgabe.

Das Projekt Virtual ObjectOriented Distibuted Interactive Environment (Voodie), welches zur Zeit an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität durchgeführt wird, widmet sich dem Thema der verteilten virtuellen Umgebungen aus genau diesen Gründen. Die vorliegende Arbeit soll dabei die kommunikationsrelevanten Aspekte verteilter virtueller Umgebungen untersuchen. Daneben müssen in dieser Arbeit aber auch die anderen Aspekte in Betracht gezogen werden, um die Integration des behandelten Teilaspektes in das Gesamtprojekt zu ermöglichen.

1.4

Zur Konzeption der Arbeit

Die Arbeit spricht in erster Linie Fachleute auf dem Gebiet der Informatik an, die sich mit verteilten virtuellen Umgebungen beschäftigen wollen. Ziel der Arbeit ist, Mechanismen zu entwickeln, mit deren Hilfe die speziellen, kommunikationsbezogenen Anforderungen verteilter virtueller Umgebungen erfüllt werden können. Damit soll eine Basis für weitere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet geschaffen werden.

Am Anfang steht die Untersuchung der Spezifik verteilter virtueller Umgebungen und eine Bestandsanalyse existierender Systeme. Darauf aufbauend werden die Mechanismen entwickelt. Als Ergebnis wird ein Prototyp vorgestellt, mit dem die entwickelten Mechanismen auf ihre praktische Anwendbarkeit hin untersucht werden können. Dieser Prototyp soll als Basis für die weitere Projekttätigkeit dienen. Dabei sollten die gewonnenen Erfahrungen als Ausgangspunkt für eine grundlegende Überarbeitung der Implementierung benutzt werden.

Im Anhang der Arbeit findet sich ein Glossar, in dem wichtige Begriffe des untersuchten Gebietes erklärt werden. Diese wichtigen Begriffe werden an der Stelle ihres ersten Auftretens erklärt und sind an diesen Stellen besonders ausgezeichnet. Teilweise werden in der Arbeit auch Begriffe aus den Originalquellen, zum besseren Verständnis des Zusammenhangs, angeführt. Die Hervorhebung solcher Begriffe erfolgt durch diese Darstellung.

Alle in der Arbeit verwendeten Marken- und Firmennamen sind eingetragene Warenzeichen ihrer Eigentümer.




mm
letzte Änderung: 05.05.1999, marko[at]netz-meister[punkt]de