Der König von Deutschland ist totRio Reiser starb im Alter von 46 Jahren - In den 70er Jahren Kultfigur
Berlin (AP) - "Der König von Deutschland" ist
tot. Rio Reiser, ehemaliger Frontmann der Polit-Rockband Ton Steine
Scherben, starb am Dienstag nachmittag in seinem Haus im nordfriesischen
Fresenhagen, wie ein Familienangehöriger des Sängers
am Mittwoch dem Radiosender SWF3 bestätigte. Reiser habe
an einer neuen Platte gearbeitet und auch wieder auf Tournee gehen
wollen. Sein Tod sei völlig überraschend gekommen. Die
Tageszeitung "Die Welt" berichtet in ihrer Donnerstagausgabe,
der 46jährige sei an inneren Blutungen gestorben.
Rio Reiser war nicht irgendein deutscher Rocksänger: Als
Frontmann der Polit-Rockband Ton Steine Scherben wurde er in den
70er Jahren zur Kultfigur. "Macht kaputt, was Euch kaputt
macht", der Titel der ersten Single der Scherben von 1970,
wurde zum Slogan der radikalen Linken. In keiner Wohngemeinschaft,
die etwas auf sich hielt, durften die Alben der Band mit programmatischen
Titeln wie "Keine Macht für niemand" fehlen. "Ton
Steine Scherben lieferten seit Beginn der 70er Jahre der anarchistischen
Systemverweigerer-Szene tönende Verhaltensmuster", resümiert
das renommierte Rowohlt-Rocklexikon.
Als "reisende politische Musikbox benutzt"
Reiser, der am 9. Januar 1950 als Ralph Möbius in Berlin
geboren wurde, gründete Mitte der 60er Jahre in Nieder-Roden
bei Frankfurt seine erste Band. Drei Jahre später stieg er
bei "Hoffmanns Comic Theater" ein, in dem auch seine
beiden Brüder Peter und Gert mitwirkten. Aus dem Theaterkollektiv
entstanden 1970 Ton Steine Scherben mit dem harten Kern Reiser,
Gitarrist Lanrue sowie Kai Sichtermann und ansonsten immer mal
wieder wechselnder Besetzung. "Wo die Scherben zwischen 1970
und 1975 auch auftraten - es gab wenigstens den Versuch einer
Hausbesetzung", schrieb das Berliner Stadtmagazin "Tip".
Als die Scherben 1985 zersplitterten, meinte Reiser indessen rückblickend
selbstkritisch: "Man hat uns als eine Art reisende politische
Musikbox benutzt, um die Leute anzutörnen." Von dieser
Rolle hatte der charismatische Sänger spätestens Anfang
der 80er genug. Schon vor dem endgültigen Ende der Band,
im Herbst 1983, trat er in Hamburg erstmals als Solist auf und
stellte ein Programm aus Eigenkompositionen, Volksliedern und
Songs von Marlene Dietrich sowie den Rolling Stones vor. Sein
erstes Soloalbum "Rio I.", das von Anette Humpe produziert
wurde, schaffte 1986 den Sprung in die Hitparaden, und mit der
Single "König von Deutschland" wurde Reiser schließlich
auch einem größeren Publikum bekannt.
"Deutsche Mick-Jagger-Ausgabe"
Die "deutsche Mick-Jagger-Ausgabe", wie ihn der "Spiegel"
einmal bezeichnete, blieb trotz der eher unpolitischen Texte seiner
Solo-Jahre ein politischer Mensch. So kritisierte er 1988 in der
Öffentlichkeit die Aids-Politik des damaligen Staatssekretärs
im bayerischen Innenministerium, Peter Gauweiler, und kündigte
an, daß er den Freistaat vorerst nicht mehr betreten werde.
Anfang der 90er Jahre engagierte sich Reiser bei verschiedenen
Benefizkonzerten gegen Ausländerhaß und Rassismus.
Einen Überblick über sein musikalisches Schaffen gab
1994 das Album "Das Beste von Rio Reiser". Für die einen waren die Texte Reisers das Schönste, was es gibt, für die anderen schlicht eine Katastrophe. Fest steht, daß die deutsche Rockmusikszene mit Rio Reiser eine ihrer charismatischsten Figuren verloren hat, auch wenn es um den Sänger in den letzten Jahren ruhiger geworden war. Foto: dpa
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![]() letzte Änderung: 02.05.1999, marko[at]netz-meister[punkt]de |